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„Ach, hast du’s schön! Du kannst jetzt rausfahren und deinen Garten genießen. Ich brauch unbedingt auch Ruhe.“ Wie oft habe ich diesen und ähnliche Kommentare von meinen Hauptstadt-Freundinnen gehört, wenn ich zum Bahnhof aufbrach.

Liebe Landliebe-Leser:innen – ich muss euch enttäuschen. Übers Jahr gerechnet, ist meine Berliner Hinterhof-Bude ruhiger. Im Sommer die eine oder andere mitternächtliche Konversation auf einem benachbarten Balkon. Ein Gitarre übender Nachbar, mit dem sich aber Spielzeiten vereinbaren lassen. Mal ein voll aufgedrehtes Liebeskummer-Lied und alle paar Jahre eine Party, die so ausufert, dass die Polizei antanzt. Das war’s.

Und jetzt aufs Land.

Halb neun abends. Gerade hast du dich zum Essen auf die Terrasse gesetzt, da startet der letzte Nachbar den Rasenmäher. Benziner mit ordentlich Wumms. Bei Sonnenuntergang ist es geschafft und das Insektenparadies endlich ein Golfrasen.

Am nächsten Morgen gegen vier Uhr beginnen die Hähne nebenan ihr Krähduell. Sagte ich schon, dass in der Nacht um eins und dann nochmal um drei Uhr die Heckrinder im Naturschutzgebiet ihrer Brunft lautstark Ausdruck verliehen haben?

Wenn ihr dachtet, dass das Gemeindeblatt der Schuljunge mit dem Fahrrad bringt, lasst euch korrigieren: Es wird mit dem Auto ausgefahren, gern am frühen Morgen und mit dem Dieseltransporter: Wrrumm. Stopp. Tocktocktock. Briefkastengeklapper. Wumm, die Tür. Aufs Gas bis zum nächsten Gartentor. Und so ab fünf Uhr dreißig laufen im Winter die Autos warm.

Samstag ist Wochenende. Ja klar. Und das heißt: von neun bis achtzehn Uhr läuft der Kompressor der Hobby-Quad-Werkstatt, zwei Swimmingpool-Pumpen und außer den Rasenmähern hier eine Flex und da eine Kettensäge. Und nachmittags, weil’s so schön ist, wahlweise Helene Fischer oder Kinderdisco für alle Anwohner zum Mitsingen.

Zum bestandenen Abi – oder aus gar keinem speziellen Anlass – wird die Haus-Terrasse zur House-Terrasse umfunktioniert, und das geht gern bis in den frühen Morgen.

Neulich saßen Menschen um einen Grill (Grillen am Waldrand wegen Feuergefahr verboten) und aus der tragbaren, kühlschrankgroßen Box vibrierte ein fetter Beat über den See. An dem ich auch schon ein Privatfeuerwerk erlebt habe. Aber das gibt‘s nur selten.

Schließlich rund um die Uhr kreischende ADHS-Kinder. Gut, da will ich nichts sagen. Kinder sind Kinder. Obwohl …

„Schau hin! Hör zu! Sei still. Du störst die Nachbarn.“, hieß es in meiner Kindheit. Das mag zwar ein bisschen autoritär gewesen sein. Und vielleicht auch bisschen sehr auf den eigenen Ruf bedacht.

Aber vielleicht hat es mir auch ermöglicht, die Natur als Wunder, als Geschenk wahrzunehmen und nicht als Selbstbedienungsladen. Mich glücklich mit der Frage zu beschäftigen, welche Wildbiene das wohl sein könnte und was die aufziehenden Wolken aussagen – statt das Radio anzustellen und auch Familie Schmidt in der Siebzehn den Wetterbericht zugutekommen zu lassen. Nur weil ich’s kann. Oder will. Oder gut finde.

Also überlegt euch das nochmal mit dem Haus auf dem Land. Zumindest, wenn es kein Einsiedlerhof ist. Aber der entfällt für uns Klimabewegte ja wegen des schäbigen Nahverkehrs.

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